20. Oktober 2025 – dpa Nachrichten
Nach mehr als 100 toten Kranichen am Stausee Kelbra gilt ab Dienstag Stallpflicht für Geflügelhalter. Forscher warnen angesichts des Vogelzugs vor einer weiteren Ausbreitung der Geflügelpest.
Nach mehreren bestätigten Vogelgrippe-Fällen am Stausee Kelbra an der Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Thüringen gilt in beiden Ländern ab Dienstag eine Stallpflicht für Geflügelhalter. Die Tiere müssten entweder in geschlossenen Ställen oder unter gesicherten Vorrichtungen untergebracht werden, erklärte der Landkreis Mansfeld-Südharz in einer am Montag veröffentlichten Allgemeinverfügung. Auch der Kyffhäuserkreis hat am Montagnachmittag eine entsprechende Verfügung veröffentlicht. Die Verpflichtungen gelten bis auf weiteres, heißt es.
Zuvor hatte es in beiden Landkreisen bestätigte Fälle von Geflügelpest gegeben. Eine positive Erstprobe eines in Thüringen am Freitag aufgefundenen Tieres wurde am Montag durch das Friedrich-Loeffler-Institut in Greifswald bestätigt. In den vergangenen Tagen waren insgesamt über 100 tote Kraniche an dem See gefunden worden. Auch am Montag sind erneut sieben Kadaver auf der Thüringer Seite im Seegebiet geborgen worden, sagte ein Sprecher des Kyffhäuserkreises.
Die Allgemeinverfügungen gelten den Angaben nach im Kreis Mansfeld-Südharz etwa für Ortsteile und Teilorte der Verbandsgemeinde Goldene Aue, der Gemeinde Südharz, der Stadt Sangerhausen und der Gemeinde Seegebiet Mansfelder Land. Auf Thüringer Seite gilt die Verfügung für den gesamten Kyffhäuserkreis.
Das Geflügel soll durch die besonderen Schutzmaßnahmen vor Wildvögeln und deren Kot geschützt werden, hieß es. So soll sich die Geflügelpest nicht weiter verbreiten. Nachdem die ersten toten Kraniche gefunden worden waren, hatten die betroffenen Kreise erste Schutzmaßnahmen eingeleitet. Demnach durften zuletzt nur Mitarbeitende des Veterinäramtes, des Talsperrenbetriebs und Einsatzkräfte auf das Areal um den Fundort am Stausee.
Die ab Dienstag geltenden Verfügungen besagen auch, dass Geflügelausstellungen, Geflügelmärkte und ähnliche Veranstaltungen vorerst verboten sind. Außerdem sollten Halterinnen und Halter ihre Hände waschen und desinfizieren, nachdem sie im Stall waren. Auffällige und tote Tiere sollten dem Veterinäramt der Kreise gemeldet werden, hieß es.
Auch andernorts wurden Vorkehrungen verschärft. So verhängte Erfurt für mehrere Orts- und Stadtteile eine Stallpflicht ab Dienstag. Im Eichsfeld wurden Geflügelhalter und Spaziergänger zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen. Derweil wurden aus dem Kreis Nordhausen weitere Verdachtsfälle bei toten Kranichen gemeldet. Ein erstes Laborergebnis deute auf die Vogelgrippe hin, die Bestätigung durch das Referenzlabor stehe noch aus, so das Landratsamt. Die Behörde rechne mit einem Nachweis der Vogelgrippe. Daher sei für den gesamten Landkreis mit einer Stallpflicht für Geflügel zu rechnen.
Forscher des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) zeigen sich in Sorge vor einer Ausbreitung des Virus angesichts des aktuellen Herbst-Vogelzugs. Weitere Verdachtsfälle in Thüringen sind inzwischen im Kreis Sömmerda bekanntgeworden, wie das dortige Landratsamt mitteilte. Nach dem Fund von mehr als 30 toten Wildvögeln, unter anderem am Rückhaltebecken Straußfurt, steht eine Bestätigung des FLI noch aus.
Bereits Anfang vergangener Woche waren mehr als 40 tote Kraniche im Naturschutzgebiet Galenbecker See (Landkreis Vorpommern-Greifswald) in Mecklenburg-Vorpommern gefunden worden. Weitere Dutzende tote Tiere wurden am vergangenen Wochenende an der Müritz geborgen, wie der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte berichtete.
In Kranichproben aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen seien zweifelsfrei Infektionen mit dem hochpathogenen aviären Influenzavirus (HPAIV, Geflügelpest) des Subtyps H5N1 nachgewiesen worden, teilte das Greifswalder Institut mit.
Die Geflügelpest, die umgangssprachlich auch Vogelgrippe genannt wird, ist eine hochansteckende und bei vielen Vogel- und Geflügelarten rasch tödlich verlaufende Infektionskrankheit. Weil viele Wildvogelarten aktuell gen Süden fliegen, müsse mit einer weiteren, möglicherweise großflächigen Ausbreitung des Virus in nächster Zeit gerechnet werden, heißt es weiter.
Die Zahl von Ausbrüchen in Geflügelhaltungen sei im Oktober sprunghaft angestiegen. In seiner aktuellen Risikoeinschätzung setzt das FLI das Risiko für Ausbrüche in Geflügelhaltungen deshalb von «moderat» auf «hoch», wie es weiter hieß.
Das FLI empfiehlt als Schutzmaßnahme die schnelle Entfernung von Wildvogel-Kadavern durch Expertenteams, um weitere Infektionen vor allem von Aasfressern, wie Krähen, Raben, Seeadlern oder Füchsen, zu vermeiden. Die Bevölkerung sollte Kontakte mit erkrankten oder verendeten Wildvögeln meiden.
Tino Sauer, Ornithologe des NABU Thüringen, geht davon aus, dass die am Stausee Kelbra verendeten Tiere aus Richtung Mecklenburg-Vorpommern in die Region gekommen sind. Auf ihrem Weg aus den Brutgebieten in Skandinavien und dem Baltikum überfliegen die Tiere in der Regel Deutschland.
Das Gebiet rund um den Stausee Kelbra gehört nach Angaben des Naturparks Kyffhäuser zu den größten Binnenrastplätzen für Kraniche in Deutschland auf ihrem Weg nach Süden. Ab Mitte Oktober sind dort viele Vögel zu beobachten, Anfang November wird dann der Höhepunkt mit bis zu 50.000 Tieren pro Tag erreicht.
«Normalerweise trödeln die jetzt von Rastplatz zu Rastplatz», so NABU-Experte Sauer. Auf dem Weg nach Spanien könnten deshalb als Nächstes Regionen in Hessen und Nordrhein-Westfalen betroffen sein. Von einem Massensterben könne bei der bisherigen Anzahl von verendeten Tieren noch keine Rede sein, so Sauer. Zwischen 80.000 und 140.000 Kraniche würden jährlich auf dem Weg nach Süden über Deutschland ziehen.